24h-Nürburgring-Kolumne: Es gibt einen Renngott!

So sicher wie das Amen in der Kirche: Redakteur Markus Lüttgens glaubt fest daran, dass beim Finale des 24h-Rennens eine höhere Macht im Spiel war

Titel-Bild zur News: Christopher Mies, Connor de Phillippi, Markus Winkelhock

Die Geschichte des Land-Siegs hätte sich kein Regisseur ausdenken können Zoom

Liebe Nordschleifen-Gemeinde,

eines muss ich vorausschicken: Ich bin kein religiöser Mensch und schon vor vielen Jahren aus der Kirche ausgetreten. Doch nach den Ereignissen des gestrigen Sonntags beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring muss ich folgendes Bekenntnis ablegen: Es gibt einen Renngott, ich glaube an ihn!

Denn es ist meine einzige Erklärung für das, was sich am Sonntag in den letzten 90 Minuten des Rennens ereignet hat. Da muss eine höhere Macht am Werk gewesen sein, die über das Schicksal des Land-Teams und die Fahrer des Audi mit der Startnummer 29 gewacht hat, sie vor eine Prüfung gestellt, und letztlich auf dramatische Weise doch dafür gesorgt hat, dass Gerechtigkeit hergestellt wird. Und alles andere als ein Sieg des Land-Audis mit der Startnummer 29 wäre bei diesem Rennen eine himmelschreiende Ungerechtigkeit gewesen.

Der Land-Audi war klar das schnellste Auto

Denn über viele, viele Stunden hatten Connor de Phillippi, Christopher Mies, Markus Winkelhock und Kelvin van der Linde das Rennen mit ihrem Audi R8 LMS souverän im Griff. Derart souverän, dass es mir und meinen Kollegen im Mediacenter des Nürburgrings zeitweise schwer fiel, gegen die unweigerlich auftretende Müdigkeit anzukämpfen, die einen nach einer langen Nacht beim 24-Stunden-Rennen irgendwann überfällt.

Schon viele Stunden vor dem Rennende stand fest, dass nur ein Unfall, ein Technikdefekt oder ein Wetterumschwung den Sieg der Land-Truppe gefährden kann. Nachdem nach 22 Stunden nichts davon passiert war, begann ich im Kopf schon einmal passende Schlagzeilen für den Bericht über den Triumph der Audi-Truppe aus dem Westerwald zu formulieren.

Doch dieser Hochmut muss den Renngott offenbar erzürnt haben, und prompt schleuderte er einen Blitz in Richtung des grün-weißen Audi R8 LMS mit der Startnummer 29. Nach einem Boxenstopp kam das Auto nicht mehr richtig in Fahrt und ruckelte hilflos um die Grand-Prix-Strecke. Entsetzen machte sich breit, nicht nur bei der Land-Mannschaft, sondern auch bei den Medienvertretern vor Ort. Den Ausruf "Das darf doch nicht wahr sein", hörte man mehr als einmal im Mediacenter.

Regen sorgt für eine Wende im Drama

Zwar ließ sich das Problem schnell beheben, doch die Führung und der sicher geglaubte Sieg schienen dahin. Nun ist man als langjähriger Beobachter von Langstreckenrennen solche Dramen in der Schlussphase eines 24h-Rennens gewohnt - nicht erst seitdem Toyota vor einem Jahr die 24 Stunden von Le Mans fünf Minuten vor dem Rennende verlor. Dennoch ließen einen die Bilder der völlig verzweifelten Christopher Mies, Connor de Phillippi und Wolfgang Land nicht kalt.

Doch jeder, der sich einmal mit dem klassischen Drama beschäftigt hat, weiß, dass die Peripetie (die Umkehr der Glücksumstände des Helden) erst der dritte von fünf Akten ist. Nach der Retardation sollte das Drama dann in den letzten 30 Rennminuten auf sein Denouement zusteuern.

Denn nach einem bisher sommerlich warmen und trockenen Rennwochenende öffnete der Himmel pünktlich zum Finale seine Schleusen - allerdings nur in Schauerform und damit wie so oft nur auf Teilen der Nordschleife. Während es auf der Grand-Prix-Strecke noch knochentrocken war, gingen die Fahrer anderswo baden. Welche Reifen soll man da bloß aufziehen? Regenreifen, die sich auf den trockenen Abschnitten der Strecke womöglich auflösen oder Slicks, mit denen man in den nassen Abschnitten der Nordschleife womöglich abfliegt.

Gala von Jungspund Kelvin van der Linde

Vor diesem Dilemma stand zwei Runden vor Rennende auch die zu diesem Zeitpunkt auf Rang drei liegende Land-Truppe beim letzten regulären Boxenstopp und entschied sich für Slicks. Wäre es dabei geblieben, wäre der dritte Rang wahrscheinlich zementiert gewesen, doch da war ja noch unser Renngott. Der sorgte dafür, dass der Nachtankvorgang mit der Zapfpistole nicht auf Anhieb gelingen sollte.

Was zunächst nach dem negativen Höhepunkt der dramatischen Schlussphase für den Land-Audi aussah, sollte letztendlich der Schlüssel zum Sieg werden. Denn durch dieses banale Problem beim Tanken bekam das Team einige Sekunden mehr Bedenkzeit, und der Renngott sandte ihnen die Eingebung: Wechselt auf Regenreifen.


Fotostrecke: Alle Sieger der 24 Stunden Nürburgring

Ich gebe zu, dass ich diese Entscheidung im ersten Moment für einen Fehler hielt, denn viele der 25,378 Kilometer waren immer noch trocken. Doch Kelvin van der Linde gelang es, dort mit den profilierten Pneus schonend genug zu fahren, und als er auf die nassen Bereiche kam, zog der erst 20-jährige Südafrikaner eine Show ab, die selbst alten Nordschleifenhasen zur Ehre gereicht hätte.

Ein Sieg, der keinen kalt lässt

Links und rechts kurvte van der Linde um die Konkurrenten, die auf ihren Slicks im Regen scheinbar stillstanden - teilweise auch über der Wiese. Trotz aller Aggressivität behielt der junge Pilot aber immer die Kontrolle, fuhr den Rückstand auf dem Rowe-BMW zu und ging an ihm vorbei. Als dann auch noch der führenden WRT-Audi eine Runde vor dem Rennende an die Box fuhr, um ebenfalls auf Regenreifen zu wechseln, stand das 20 Minuten vorher noch Undenkbare fest.

Land gewinnt ein Rennen, dass ihnen über viele, viele Stunden sicher schien, und dass sie dann scheinbar schon verloren hatte. Und zum zweiten Mal in Folge wurde das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring erst in der allerletzten Runde entschieden. Doch während der Erfolg der Black-Falcon-Mannschaft 2016 vor allem der Entschlossenheit von Maro Engel zu verdanken war, hatte die Land-Mannschaft ihr Schicksal am Sonntag nur bedingt in der eigenen Hand.


Fotos: 24h Nürburgring, Rennen


Man stelle sich vor, die Zapfpistole hätte beim letzten Boxenstopp nicht gehakt. Dann wäre der Audi auf Slicks aus der Box gerollt, und hätte vermutlich keine Chance mehr gehabt, den Rowe-BMW und WRT-Audi anzugreifen. Oder der Regenschauer wäre knapp an der Nordschleife vorbeigezogen. Auch dann wäre nicht mehr als Platz drei möglich gewesen. So eine Gesichte kann sich kein Motorsport-Journalist oder Hollywood-Regisseur ausdenken.

Daher muss es einen Renngott geben, der dafür gesorgt hat, dass letztlich die Mannschaft das Rennen gewinnt, die es über einen Großteil der 24 Stunden dominiert hatte. Wer seine Existenz jetzt noch anzweifelt, dem kann ich auch nicht mehr helfen. Und allen, die das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring nicht lieben, erst recht nicht. Das ist einfach das beste Autorennen der Welt.

Amen.

Markus Lüttgens