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1987: Ein Japan-Grand-Prix für die Ewigkeit

Nigel Mansell gegen alle beim ersten Suzuka-GP: Nach Manipulationsvorwürfen gegen Honda und Piquets Psychotricks zerschellt beim Horrorcrash der WM-Traum

(Motorsport-Total.com) - Formel-1-Premiere auf der Honda-Teststrecke in Suzuka: Und alles scheint für Teil 1 des großen Titel-Showdowns 1987 zwischen WM-Leader Nelson Piquet und Stallrivale Nigel Mansell angerichtet. Nur noch die beiden Williams-Honda-Piloten haben beim vorletzten Saisonrennen Chancen auf die WM-Krone, nachdem sich Ayrton Senna aus dem Titelkampf verabschiedet hat.

Die Rollenverteilung ist klar: Mansell geht als "Underdog" in das Wochenende. Der 34-jährige britische Arbeiterklasse-Held, der seinen im Vorjahr bereits sicher geglaubten ersten WM-Titel beim letzten Saisonrennen in Adelaide durch einen Reifenplatzer verlor, hat sich als schnellster Mann der Saison erwiesen: Bis Suzuka stand er bei jedem der bis dahin 14 Rennen in der ersten Reihe, acht Mal auf der Pole. Sechs Mal siegte er, während dies Piquet nur drei Mal gelang: In Hockenheim, Budapest und Monza, als er jeweils den Sieg durch das Pech eines Rivalen erbte.

Der Kampf zwischen den Intimfeinden wird immer erbitterter, nachdem der Brasilianer Mansell in Mexiko zwei Mal beinhart die Tür zugeschmissen hat. "Du wolltest mich abschießen", wirft Mansell dem 35-Jährigen vor. Doch der antwortet trocken: "Sei nicht so dumm! Dann hätte ich es gemacht." Und dennoch läuft das für seinen spektakulären Fahrstil bekannte "Vollgas-Tier" Mansell nach drei technischen Defekten in Monaco, Deutschland und Ungarn einem Rückstand von zwölf Punkten auf WM-Leader Piquet nach. Wegen der Streichresultate bedeutet das: Mansell muss in Suzuka und beim Finale in Adelaide unbedingt gewinnen. Das erscheint keinesfalls unmöglich, denn Piquet kann 1987 mit dem Tempo Mansells nicht mehr mithalten.

Piquet verliert nach Imola-Crash zunächst 80 Prozent der Sehkraft

Grund dafür ist der 300-km/h-Horrorunfall des Brasilianers wegen eines Reifenplatzers beim Training in in Imola - ausgerechnet in der gefürchteten Tamburello-Kurve, die Jahre später seinem Landsmann Senna zum Verhängnis werden sollte. "Ich habe einen großen Teil meiner Sehschärfe verloren, vor allem in der Entfernung", verrät Piquet, der nach dem Unfall auch unter Schlafstörungen leidet und wegen des Verlust von 80 Prozent seiner Sehkraft alle zwei Wochen zur Untersuchung in ein Militärkrankenhaus in Mailand musste, Jahre später gegenüber 'GloboTV'.

"Ich musste die Tafeln mit den Entfernungen bis zur Kurve ablesen, um den Bremspunkt zu treffen. So lange ich hinter jemand anderem fuhr, ging es gut, aber ich konnte nicht an der Spitze fahren." Das erklärt auch, warum Piquet, der seine Einschränkung geheim hält, abgesehen von seinem Triumph in Monza 1987 in Sachen Tempo gegen Mansell den Kürzeren zieht.

"Nigel merkt, dass sein Rennwagen schneller ist, als er denken kann. Das macht ihn zu einem unausstehlichen Zeitgenossen." Nelson Piquet

Und im Psychoduell zu dreisten Mitteln greift. "Nigel merkt, dass sein Rennwagen schneller ist, als er denken kann", demütigt er den aus einfachen Verhältnissen stammenden Briten, der einst sogar sein Haus verkauft hat, damit er sich den Rennsport leisten kann. "Das macht ihn zu einem unausstehlichen Zeitgenossen."

Wird Mansells Williams von Honda manipuliert?

Dazu kommt, dass Piquet strategisch klar im Vorteil ist: Motorenpartner Honda verlässt Ende des Jahres dank eines Deals mit McLaren die Williams-Truppe. Piquet wird aber 1988 für Lotus an den Start gehen, weshalb er die Startnummer 1 im Gegensatz zu Mansell zu einem Honda-Team mitnehmen würde.

Nigel Mansell

Nigel Mansell vermutet eine Honda-Verschwörung gegen ihn Zoom

"Es gibt keinen Grund, warum Honda einen Weltmeister Nigel Mansell 1987 will", sieht sich der Herausforderer im Gespräch mit dem 'Spiegel' mit dem Rücken zur Wand. "Die Japaner haben außerdem kein Interesse daran, dass ein Williams-Rennwagen im nächsten Jahr die Nummer 1 tragt. Diese Nummer würden sie sich am liebsten auf einem Lotus wünschen." Er ahnt, dass die japanischen Ingenieure ein falsches Spiel mit ihm spielen, nachdem ihn in Monza eine um 20 Grad höhere Motortemperatur an die 90 PS kostete. "Ich bin gespannt, was in den kommenden Rennen noch alles mit mir passieren wird." Für Honda wäre es "ein Kinderspiel", die WM zu manipulieren.

Berger erhält Fahrstunden von WM-Kandidat Mansell

Trotz aller Hintergedanken und Verschwörungsängste gibt sich Mansell am Donnertag an der Strecke von Suzuka gelöst. Da er den Kurs als Williams-Honda-Pilot bereits kennt, fährt er Ferrari-Pilot Gerhard Berger in einem Privatauto um den Kurs. Und offenbart zur Überraschung des Österreichers seine Tricks. "Obwohl er sich ausrechnen konnte, dass Ferrari hier stark sein würde, verriet er mir alle Bremspunkte, zeigte mir die richtigen Linien", wundert sich Berger. "Und später merkte ich: Alles stimmt haargenau."

Der zu diesem Zeitpunkt einmalige Grand-Prix-Sieger zeigt sich von der flüssigen Achterbahn, die vom Zandvoort-Designer John Hugenholtz entworfen wurde, mehr als angetan: "Ich finde die Strecke noch aufregender als meinen Lieblingskurs Brands Hatch." Während Berger Fahrstunden erhält, schnappt sich der amtierende Weltmeister Alain Prost, dessen McLaren-Team mit den nicht mehr weiterentwickelten Porsche-Motoren nur noch bedingt konkurrenzfähig ist, den Roller des zukünftigen Motorenpartners Honda, um den Kurs zu erkunden.

Todesangst: Mansell verliert durch 76-g-Crash den Titel

Was dann folgt, ist ein Vorbote darauf, dass es nicht das erwartete Traumwochenende für die Japaner werden sollte: Der Franzose rollt nach nicht einmal einer Runde ohne Sprit aus. Am Freitag-Nachmittag folgt im ersten Qualifying der ganz große Schock: Nachdem Piquet Mansells Bestzeit von 1:42.614 um über eine Sekunde unterbietet, geht der Herausforderer noch einmal mit gebrauchten Reifen auf die Strecke.

Am Ende der S-Kurven nach der ersten Kurve bricht das Heck aus, weil er den inneren Randstein berührt, und schießt wie ein Torpedo rückwärts in die Reifenstapel. Der Williams prallt ab, wird in die Luft und auf die Strecke zurückkatapultiert, wo er mit voller Wucht auf den Asphalt donnert. Beim 76-g-Aufprall bricht Mansells Wirbelsäule an drei Stellen: Der Williams-Pilot, der seit seinem Halswirbel-Bruch bei einem Formel-Ford-Unfall 1977 zum Glück eine Nackenmanschette trägt, schreit vor Schmerzen, windet sich im Cockpit, kann das Lenkrad abnehmen, aber nicht aussteigen.


Suzuka 1987: Mansells Crash im Freitag-Qualifying

"Das Problem war, dass das Auto direkt auf dem Randstein gelandet ist, wodurch der Schlag genau auf meinen Rücken traf", wird er später erzählen. "Ich konnte im ersten Moment nicht atmen, weil ich durch die Rückenmarksverletzung einen neurogenen Schock erlitten hatte und dachte, ich würde sterben." Sofort sind Helfer bei ihm, doch Mansell erträgt den Schmerz kaum, verzerrt sein Gesicht. Er ist verwirrt.

Der schwer verletzte Rennfahrer, dessen Ehefrau das dritte gemeinsame Kind erwartet, wird aus dem Auto gehoben und sofort auf die Intensivstation des nächsten Krankenhauses gebracht. Dort wird er 24 Stunden ruhiggestellt. Als er wieder zu sich kommt, macht er eine mulmige Erfahrung. "In der ersten Nacht sind die Patienten links und recht neben mir gestorben. Das war ziemlich unheimlich."

Viel Kritik am neuen Weltmeister Piquet

Damit ist klar: Der WM-Zweite wird den Grand Prix von Japan nicht gewinnen. Selbst an ein Antreten ist nicht zu denken. Piquet hat damit seinen dritten WM-Titel nach den Erfolgen mit Brabham in den Jahren 1981 und 1983 sicher. Doch es dauert nicht lange, da prasselt Kritik auf ihn ein. Er sei 1987 klar der langsamere Williams-Pilot gewesen, habe seinen Titel nur der besseren Zuverlässigkeit und Mansells Pech zu verdanken. "Ich habe die WM nicht heute gewonnen", verteidigt sich der neue Champion.

Als Piquet nach dem zweiten Qualifying überhaupt nur auf Startplatz fünf steht, heißt es gar, der neue Weltmeister zeige nun,keinen Einsatz mehr und sei im Bummeltempo unterwegs. Stattdessen hat er Pech: Zuerst ist das Fahrwerk zu hart und die Bremsen völlig falsch eingestellt, dann vergisst ein Mechaniker, die Motorverkleidung festzuschrauben. Piquet ist nach nur einer Runde wieder an der Box.

Nelson Piquet

Piquet sah sich bei der Weltmeister-PK mit unangenehmen Fragen konfrontiert Zoom

1,1 Sekunden fehlen am Ende auf Überraschungsmann Berger, der den Ferrari 0,6 Sekunden vor Prost, Benetton-Pilot Thierry Boutsen und Teamkollege Michele Alboreto auf die Pole prügelt. Mit Mansells Bremspunkten als Pole-Geheimnis? Vielmehr passiert ihm beinahe das gleiche Unglück: Weil er in seiner schnellsten Runde durch Benetton-Pilot Theo Fabi Zeit verliert, fährt er noch härter. "Dabei kam ich einmal mit den linken Rädern aufs Gras. Das Auto wollte schon querschlagen, stabilisierte sich aber."

Berger-Pole trotz Schrecksekunde

Es ist die zweite Pole in Bergers Karriere - nach Portugal vor etwas mehr als einem Monat. Und ein Heimdebakel für Honda: Piquet ist als Fünfter noch der beste Pilot mit den japanischen Motoren, Senna kommt im Lotus-Honda nicht über Startplatz sieben hinaus, Satoru Nakjima ist abgeschlagener Elfter.

Gerhard Berger

Gerhard Berger holt im Ferrari souverän seine zweite Pole-Position Zoom

Sein nächstjähriger Lotus-Teamkollege kündigt bei seiner Weltmeister-Pressekonferenz an: "Ich werde noch mindestens vier Jahre Formel 1 fahren. Dann werde ich 40 sein." Beim Nachsatz zeigt Piquet, der erwägt, sich einen Hubschrauber und eine 35-Meter-Jacht zuzulegen, Selbstironie: "Außer natürlich, ich bin schon vorher zu langsam für die Formel 1." Die Prognose wird nicht ganz aufgehen, da er um ein Jahr länger fahren sollte als angedacht.

Start: Bergers Rivalen im Pech

Am Sonntag deutet beim Aufwärmtraining alles darauf hin, dass Berger im Rennen mit heftiger Gegenwehr zu rechnen haben wird: Prost fliegt und fährt die Bestzeit. Doch die Hoffnungen des McLaren-Piloten, der beim Start sofort die Verfolgung des Ferrari aufnimmt, lösen sich schon nach der ersten Runde auf: Prost erleidet einen Reifenschaden, humpelt an die Box und liegt bereits eine Runde zurück, als er mit frischen Reifen auf die Strecke zurückkehrt. Da hilft es auch nichts, dass er eine Rekordrunde nach der anderen dreht.

Doch er ist nicht der einzige Pechvogel: Bergers Teamkollege Alboreto reißt beim Start die Hände in die Höhe, weil seine Kupplung streikt. Somit fährt der Österreicher auf und davon, während ihm Boutsen im Benetton, der bald mit dem Ladedruck seines Motors zu kämpfen hat, die deutlich schnelleren Senna und Piquet vom Leibe hält. Nach zehn Runden hat der Ferrari-Pilot bereits zehn Sekunden Vorsprung auf den Belgier.

Gerhard Berger

Start: Prost sitzt Leader Berger nur eine Runde lang im Nacken Zoom

"Natürlich ist das Ansprechverhalten des Motors noch immer nicht so ideal für diese kurvenreiche Strecke, aber da mir niemand im Nacken saß, spielte das keine Rolle", wird er später zu Protokoll geben. Als sich Boutsen wegen seiner Probleme zurückfallen lässt, nehmen die Duellanten Senna und Piquet die Verfolgerrolle auf. Der Lotus-Pilot geht sogar für eine Runde in Führung, als Berger zum einzigen Stopp hereinkommt. Als seine Verfolger ebenfalls stoppen, liegt der einsame Ferrari 45 Sekunden vor Prosts McLaren-Teamkollegen Stefan Johansson.

Berger verspielt durch Irrtum beinahe den Sieg

Was Berger zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: Der Schwede war bereits an der Box. Und so dreht er den Ladedruck runter, um Benzin zu sparen, während Johansson ordentlich Gas gibt und auf 2,4 Sekunden herankommt. "Als ich ihn plötzlich in meinem Rückspiegel auftauchen sah, habe ich einen Schrecken gekriegt und gab schnell wieder tüchtig Gas."

Nelson Piquet

Mansell kann es kaum glauben: Honda-Protege Piquet hat einen Motorschaden Zoom

Berger baut den Vorsprung auf 17 Sekunden aus, ehe Johansson für seine Tempojagd bestraft wird: Der Sprit wird knapp, der McLaren-Pilot schleppt sich irgendwie ins Ziel und wird knapp vor der Ziellinie von Senna überholt und auf Platz drei verdrängt. Der Abstand: lächerliche 0,350 Sekunden. Und auch die über 100.000 Japaner dürfen am Ende jubeln: Weil auch Eddie Cheever im 150. Arrows-Rennen die Verbrauchsanzeige übersieht und als Sechstplatzierter in der letzten Runde ausrollt, wird Lokalmatador Nakajima im Lotus-Honda Sechster und schnappt sich das letzte Pünktchen.

Mansell schießt gegen Piquet nach Motorschaden

Nicht im Ziel: Weltmeister Piquet, dessen Honda-Triebwerk fünf Runden vor Schluss den Geist aufgegeben hat. Das Problem: Bei der Verfolgung Sennas hatten Reifengummi-Stücke den Kühler verklebt. Und so feiern Berger und Ferrari ausgerechnet im Honda-Land den ersten Triumph für die Scuderia seit 37 Grands Prix. Als die Zielflagge in Suzuka geschwenkt wird, ist auch Mansell endlich zu Hause in seiner Heimat Großbritannien.

Er erfährt von Piquets Honda-Motorschaden und kann er sich eine kleine Spitze gegen den Intimfeind nicht verkneifen: "Da muss eine Verwechslung passiert sein. Wahrscheinlich hat er jenen Chip bekommen, der für mich bestimmt war."