Drink mit Eddie Irvine: Wie Ferrari die WM 1999 verschenkt hat

Fatale Stallorder: Wie Ferraris totale Fixierung auf Michael Schumacher beim Grand Prix von Frankreich in Magny-Cours Eddie Irvine den WM-Titel 1999 gekostet hat

(Motorsport-Total.com) - Es ist eine kaum beleuchtete Facette der Formel-1-Geschichte, aber beinahe wäre der erste Ferrari-Weltmeister nach Jody Scheckter 1979 nicht Michael Schumacher, sondern Eddie Irvine gewesen. Denn Ferrari hat den WM-Titel im Nachhinein betrachtet bereits beim Grand Prix von Frankreich, beim siebten Rennen der Formel-1-Saison 1999 in Magny-Cours, verschenkt.

Titel-Bild zur News: Eddie Irvine

Ein Drink mit Eddie Irvine: In Folge 9 ist Magny-Cours 1999 das Thema Zoom

Beim vorangegangenen Rennen in Kanada war Schumacher ausgeschieden, Mika Häkkinen (McLaren) hatte gewonnen und Irvine war Dritter geworden. Häkkinen hatte 34 WM-Punkte auf seinem Konto, Schumacher 30 und Irvine 25. Fünf Punkte Differenz sind eigentlich zu wenig, um willkürlich eine Stallorder auszurufen, aber Ferrari war in jenen Jahren voll und ganz auf Schumacher ausgerichtet. Und so kam es, dass Irvine in Magny-Cours als schnellerer Fahrer zurückstecken musste.

In jenem spektakulären Regenrennen, das am Ende Heinz-Harald Frentzen auf Jordan gewann, belegte Schumacher den fünften Platz, unmittelbar vor seinem Wasserträger-Teamkollegen. Der erinnert sich an Magny-Cours 1999 in der neuesten Folge (#9) unserer Kult-Videoserie "Ein Drink mit Eddie Irvine" folgendermaßen: "Mir wurde gesagt, ich soll hinter Michael bleiben", obwohl ihm dessen Tempo "sehr langsam" vorkam. Und: "Letztendlich hat mich das die WM gekostet."

Ein Punkt fehlte Irvine zum WM-Titel

Denn: Schumacher, auf den Ferrari gesetzt hatte, brach sich beim nächsten Rennen in Silverstone das Bein und war aus dem WM-Kampf draußen. Irvine hingegen kam mit vier Punkten Vorsprung auf Häkkinen zum letzten Saisonrennen in Suzuka. Dort gewann Häkkinen souverän, Irvine wurde hinter dem kurz zuvor zurückgekehrten Schumacher Dritter. Hätte Schumacher ihn durchgelassen, wäre Irvine trotzdem nur Vizeweltmeister geworden - bei Punktegleichheit aufgrund der niedrigeren Anzahl an Siegen.


Ein Drink mit Eddie Irvine (Folge #9)

Wie eine Ferrari-Stallorder pro Michael Schumacher in Magny-Cours 1999 Eddie Irvine den WM-Titel gekostet hat. Weitere Formel-1-Videos

Aber: Mit dem zusätzlichen Punkt von Magny-Cours hätte eine Stallorder in Suzuka gereicht, um Irvine zum Weltmeister zu machen. Der Nordire hatte davor in Hockenheim von Interims-Teamkollege Mika Salo den Sieg geschenkt bekommen. Aber er selbst hätte kein Problem damit gehabt, mit der Hilfe von Stallorder Weltmeister zu werden: "Du gewinnst einen Titel so, wie du ihn halt gewinnst. Wäre ich in einem McLaren gesessen, wäre ich nicht drauf angewiesen gewesen, dass Michael mich durchlässt."

Rosberg: Mit nur einem Sieg Weltmeister 1982

"Es gibt da einige Herren, die Weltmeisterschaften mit viel weniger Siegen gewonnen haben und auch weniger konkurrenzfähig waren als ich. Am Ende zählen nur die nackten Zahlen", sagt Irvine, der in anderen Situationen, etwa bei den 24 Stunden von Le Mans 1994, auch auf der unglücklichen Seite der Motorsport-Geschichte war und nur knapp Zweiter wurde. Wen er damit anspricht: zum Beispiel Keke Rosberg, der 1982 nur mit einem einzigen Sieg Weltmeister wurde.

Michael Schumacher und Eddie Irvine in Magny-Cours 1999

Eddie Irvine durfte Michael Schumacher in Magny-Cours 1999 nicht überholen Zoom

17 Jahre später findet Irvine, dass Ferrari den WM-Titel 1999 (bei den Fahrern, die Konstrukteurs-WM wurde ja gewonnen) verschenkt hat. "Ich wurde nicht voll unterstützt", erinnert er sich. "Michael war Ferraris heißestes Eisen, um die Weltmeisterschaft zu gewinnen. Aber wegen seines Beinbruchs war er aus dem Rennen. Wir wussten, dass unser Auto bei weitem nicht so schnell ist wie der McLaren, und wir wussten, dass Michael der einzige ist, der den Unterschied machen kann."

"Also stellten sie die Weiterentwicklung des 1999er-Autos ein und konzentrierten sich schon auf das 2000er-Auto - fünf Monate früher, als sie das sonst getan hätten. Und wir kennen die Geschichte des 2000er-Ferrari. Das war ein erstaunliches Rennauto", so Irvine. Tatsächlich wurde Schumacher damit erster Ferrari-Weltmeister seit Scheckter. Irvine versteht die damalige Entscheidung: "Aus Ferrari-Sicht ergab das Sinn, denn sie dachten nicht, dass es 1999 eine Chance auf den Titel geben würde."

Irvine versteht: Schumacher war einfach besser

"Wenn man es nüchtern betrachtet, wussten wir, dass das Auto nicht gut genug war - und ich war nicht Michael Schumacher! Insofern war das logisch", zeigt er Verständnis für Teamchef Jean Todt. "Und ich glaube, dass ich genauso entschieden hätte. Ist halt passiert, dass ich das nächste Rennen gewonnen und auch in den nächsten paar Rennen sehr gut gepunktet habe. Mika hat ein paar Fehler gemacht. Wir auch, aber weniger als sie. Unterm Strich hat sicher die bessere Kombination gewonnen."

Irvine erwischte es dennoch ganz gut, kassierte in den drei Jahren nach 1999 bei Jaguar eine Milliongage ab. Für den WM-Titel auf Ferrari würde er das Geld aber jederzeit eintauschen. Im Nachhinein sieht er die Jahrtausendwende in der Formel 1 recht pragmatisch: "Damals war es so: Entweder musst du in einem Auto von Adrian Newey sitzen oder Michael Schumacher sein, ansonsten kämpfst du nicht um die Weltmeisterschaft", sagt er.