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  • 07.01.2018 10:54

  • von Matt Somerfield

Top 5: Die besten technischen Lösungen der Formel 1 2017

Vom Ferrari-Unterboden bis zum "Stegosaurus" von Force India: Wir werfen einen Blick auf die innovativsten und interessantesten Lösungen der Formel-1-Saison 2017

(Motorsport-Total.com) - 2017 war für die Formel 1 ein Neuanfang. Es gab ein neues technisches Reglement, das breitere, schnellere und visuell ansprechendere Autos versprach. Außerdem sollten die Fahrer wieder an ihr Limit gebracht werden. Der Abtrieb wurde drastisch erhöht, und Pirelli bot deutlich breitere Reifen an. So sahen die Autos nicht nur besser aus, auch die Rundenzeiten wurden merklich schneller.

Titel-Bild zur News: Force India mit Mini-Flügeln an der "Haifischflosse"

Mit dem "Stegosaurus" ist Force India 2017 eine echte Innovation gelungen Zoom

Weil das technische Reglement den Fokus darauf legte, mehr Abtrieb zu liefern, lag eine Menge Druck auf Red Bull. Es wurde erwartet, dass sie Mercedes herausfordern können. Auch wenn das zu Beginn nicht klappte, konnten die Bullen während der Saison ein immer größeres Momentum aufbauen. Mehrfach übernahmen sie die besten Ideen der anderen und passten sie so an, dass sie zum eigenen Auto passten.

Während Red Bull die Erwartungen nicht komplett erfüllen konnte, sah es einige Zeit danach aus, dass Ferrari Mercedes vom Thron stoßen kann. Die Scuderia überzeugte mit einem eleganten und gleichzeitig zweckmäßigen Design, das gleich mehrere neue Lösungen präsentierte. So wurde Ferrari zurück an die Spitze des Feldes katapultiert, während Mercedes seinen ganz eigenen faszinierenden Twist erlebte.

Wir werfen einen Blick auf die technische Schlacht der Formel-1-Saison 2017 und krönen die innovativsten Lösungen der vergangenen Saison.

1 - Radikale Enthüllung

Einen der größten "Wow"-Momente des Jahres gab es gleich zu Beginn, als Ferrari den SF70H präsentierte. Es wurde direkt klar, dass die Scuderia lange und hart über die neuen Regeln nachgedacht hatte. Die Seitenkästen fielen mit komplexen und facettenreichen Lösungen auf. So konnte man das Auto relativ kurz halten.

Ferrari

Die neuen Regeln der Saison 2017 haben die Designer zum Umdenken gezwungen Zoom

Die Absicht der neuen Regeln bestand nicht nur darin, den Teams mehr Abtrieb zu liefern. Die Autos sollten auch wieder ansprechender aussehen. Die Designer wurden zum Beispiel dazu gezwungen, den Frontflügel, die Seitenkästen und die Vorderkante des Unterbodens deltaförmig zu gestalten. Auch der Heckflügel musste eine neuen Form und Höhe bekommen.

Der turbulente Luftstrom, der durch die jetzt breiteren Vorderreifen ebenfalls verbreitert wurde, stellte in Kombination mit dem neuen vorgeschriebenen winkligen Design ein Problem dar. Ferrari reagierte darauf in einer ziemlich ungewöhnlichen Art und Weise, indem man den eigentlichen Seitenkasten nach hinten versetzte und davor mehrere Teile anbaute, die den Luftfluss beeinflussten.

So erreichte die Scuderia gleich mehrere Ziele. Man verbesserte die Kühlung und die Aerodynamik, und gleichzeitig konnte man den Radstand kürzer halten. Mercedes war im Vergleich dazu gezwungen, sein Auto länger zu bauen. So verringerte sich der Einfluss des Windschattens der Vorderreifen, bevor er den kritischen Bereich des Autos erreichte.

Ferrari

Direkter Vergleich: Der Ferrari SF70H und sein Vorgänger aus dem Jahr 2016 Zoom

Grundlage dieser Innovation ist das Querdenken, das man benötigt, um so eine Lösung zu finden. Die Designer mussten nicht nur die Auswirkungen des Konzepts auf Aerodynamik und Kühlung bedenken - sondern auch dessen Konstruktion. Die Stützholme des Seitenaufprallschutzes mussten auf die richtige Weise platziert werden, damit die ganze Idee überhaupt funktioniert.

In der Vergangenheit investierten Teams eine Menge, um ihre eigenen Stützholme zu designen. Die Designs wurden immer komplexer - so wie beim McLaren U-Pod von 2011 (unten links). Seit 2014 sind die Designer an ein eindimensionales Konstrukt gebunden, bei dem der obere der beiden Holme die Vorderfront des Seitenkasten überspannt (unten rechts, blauer Pfeil). Die FIA hat diese Struktur standardisiert (mittlere Abbildung).

Seitenkästen

So haben sich die Seitenkästen der Boliden in den vergangenen Jahren entwickelt Zoom

Damit Ferraris grandioser Plan also auch den Regeln entsprach, musste die Scuderia für die Stützholme einen neuen Platz vor dem Seitenkasten finden. Sie musste clever in die davor liegende Karosserie eingearbeitet werden (obere Abbildung, blauer Pfeil).

2 - Wichtige Operation

Der Große Preis von Spanien ist ein richtungsweisender Punkt im Entwicklungszyklus der Autos. Weil es das erste Europarennen der Saison ist, können die Teams große Updatepakete an den Start bringen, ohne sie vorher einmal für viel Geld quer um den Globus zu transportieren.

Die Designer haben dadurch Zeit, Teile mit langen Vorlaufzeiten vorzubereiten, zu testen und herzustellen. So können erste Schwächen direkt ausgebessert oder zuvor ungenutzte Performance freigesetzt werden. Besonders für Mercedes war es ein extrem wichtiger Punkt in der Saison, weil sich der Kampf mit Ferrari intensivierte und auch Red Bull zu einer größeren Bedrohung wurde.

Wenn das Update nicht die Performance gebracht hätte, die die aerodynamischen Teile im Windkanal und bei CFD-Simulationen versprachen, wäre nicht nur das Update selbst für die Tonne gewesen. Auch die gesamte Arbeit der sechs bis acht Wochen zuvor wäre komplett irrelevant gewesen.

Eines der sensationellsten Teile des Updates war die neue Nase. Sie beinhaltete eine neue Lösung, die wir zuvor noch nirgendwo gesehen hatten. Das Team bezeichnet sie als "Cape", denn sie schien unter der Nase zu hängen. Die Vorrichtung, die an eine Schaufel erinnert, beginnt extrem weit vorne und reicht bis zu einem Punkt, an dem sie die Luftleitbleche ersetzt, die sich normalerweise an der Unterseite von Nase und Chassis befinden (oben links).

Mercedes-Nase

Die Nase am Mercedes W08 hat sich im Laufe des Jahres stark verändert Zoom

Die Bedeutung dieses Updates darf man auf keinen Fall unterschätzen, denn es war nicht nur ganz anders als alles andere, was man zuvor im Grid gesehen hatte. Die aerodynamische Oberfläche war auch so groß, dass das Team eine neue, schlankere Struktur der Nase benötigte, wodurch wiederum ein neuer Crashtest bestanden werden musste.

Dadurch musste man bereits in einem frühen Entwicklungsstadium eine mutige Entscheidung treffen. Weil ein solches Teil eine lange Vorlaufzeit benötigt, ist es sehr wahrscheinlich, dass Mercedes bereits daran arbeitete, bevor man zum ersten Rennen nach Melbourne kam. Dem technischen Team unter der Führung von Ex-Ferrari-Ingenieur James Allison gelang es während der Saison außerdem, mit diversen Updates Gewicht einzusparen und es bis auf das vorgeschriebene Minimum zu senken.

Es ist eines der auffälligsten Features, das es Mercedes erlaubte, Flügel mit niedrigeren Anstellwinkeln als Ferrari zu fahren. Gleichzeitig erlaubte es der überlegene Motor, höhere Topspeeds als Red Bull zu erreichen, obwohl diese mit noch weniger Flügel fuhren. In Österreich (unten links) und Malaysia (oben rechts) brachte das Team weitere kleine Updates, um das Konzept weiter zu optimieren und noch mehr Performance herauszuholen.

3 - Zufällige Ähnlichkeit

Es ist extrem selten, dass zwei Teams die gleichen interessanten und ungewöhnlichen Lösungen finden. Doch genau das ist 2017 passiert, als Mercedes und Toro Rosso fast das identische Layout der Vorderradaufhängung entwickelten. Tatsächlich war auch Toro Rossos Technikchef James Key von diesem Zufall überrascht: "Ich sah mir den Mercedes an und dachte mir: 'Oh, okay. Sie habe unsere Vorderradaufhängung.'"

"Einerseits waren wir zufrieden, dass ein anderes Team etwas Ähnliches gemacht hatte. Andererseits waren wir auch enttäuscht, dass wir nicht das einzige Team waren, dass sich so etwas ausgedacht hatte", so Key. Beide Teams entschieden sich dazu, eine senkrechte Verlängerung zu verwenden. Das war eine Notwendigkeit, um eine mechanische Flexibilität einzubauen.

Toro Rosso, Mercedes

Fast identisch: Die Vorderradaufhängung am Toro Rosso und am Mercedes Zoom

Dadurch konnte das Auto angepasst werden, wenn es schlecht auf die neue Generation der Pirelli-Reifen reagierte. Gleichzeitig bot es einen aerodynamischen Vorteil, bedingt durch den veränderten Luftstrom in dieser Region aufgrund der breiteren Reifen. Außerdem gab es dadurch einen größeren Freiraum für aerodynamische Vorrichtungen im Bereich vor den Seitenkästen.

4 - Der Schlitz im Unterboden

Wir haben bereits gesehen, wie innovativ der SF70H rund um den Bereich seiner "Taille" war. Doch es gab noch eine weitere Lösung, mit der Ferrari zu Beginn des Jahres 2017 die Aufmerksamkeit der Konkurrenz auf sich gezogen hat. So konnte man sehen, dass der äußere Bereich des Unterbodens sich ziemlich stark auf und ab bewegte.

Ferrari

Der Ferrari-Unterboden bereitete den Gegnern zu Saisonbeginn Kopfzerbrechen Zoom

Die anderen Teams vermuteten, dass Ferrari den Effekt nutzte, um die abdichtende Wirkung an der Seite des Unterbodens zu verstärken. So konnte man die Turbulenzen durch die Vorderreifen reduzieren. Die anderen Teams forderten die FIA auf, die Sache unter die Lupe zu nehmen.

Nachdem man mehrere Versuche unternommen hatte, den vordersten Bereich des Schlitzes zu verstärken (weißer Kreis), gab das Team letztendlich nach und schloss den Schlitz in Österreich komplett, indem man ein Metallteil hinzufügte.

Innovative Lösungen erregen häufig Aufmerksamkeit, und eine andere Ferrari-Lösung, die den Bereich unmittelbar über dem Schlitz im Unterboden betrifft, waren die mit Luftschlitzen versehenen Bargeboards. In Singapur kopierte Red Bull diese Lösung.

Red Bull, Ferrari

Red Bull kopierte im Verlauf des Jahres die Bargeboards am Ferrari Zoom

Auf den ersten Blick sehen die Teile bei Ferrari und Red Bull wie Zwillinge aus. Beide verfügen zum Beispiel über genau zwei Luftschlitze. Doch es gibt einen großen Unterschied. Red Bull entschied sich dafür, Ferraris abgerundete Vorderkante zu verwerfen. Stattdessen verwendete man eine Lamelle (roter Pfeil). Vermutlich eine Folge der unterschiedlichen Luftflusscharakteristiken im Bereich davor.

5 - Biomimikry

Die Teams profitierten 2017 von einer Lücke im neuen Reglement, welche die Verwendung der sogenannten T-Flügel ermöglichte. Die 50 Millimeter tiefen Winglets wurden im Laufe des Jahres immer komplexer, und die Teams verwendeten bis zu drei Elemente mit jeweils eigenen Slots. Teilweise kam noch ein weiteres, tieferes Winglet dazu.

Mercedes

Mercedes perfektionierte seinen T-Flügel im Laufe der Saison immer weiter Zoom

Mercedes schlug als erstes Team zu. Als das neue Auto in Silverstone seinen Shakedown absolvierte, hatte der T-Flügel einen eigenen Träger, der den Auspuff kreuzte und an die Crashstruktur montiert war.

Später wurde es deutlich komplexer, und aus einem Einzelelement wurden drei (oben). Hinzu kam eine weitere neue Lösung: Die "Haifischflosse" an der Motorabdeckung verfügte über einen Kühlkamin, über den die vom Motor generierte Hitze schnell abgeleitet werden konnte.

Die Idee wurde von anderen Teams nicht übernommen, doch als Force India in Singapur eine neue Motorabdeckung präsentierte, widmete man sich einem ähnlichen Bereich. Das Konzept, das an der oberen Kante über mehr als 30 gepaarte Winglets verfügte, wurde schnell als "Stegosaurus" bezeichnet.

Force India

Der "Stegosaurus" am Force India war aus technischer Sicht ein Highlight 2017 Zoom

Die in eine Reihe liegenden, gepaarten Winglets arbeiten mit dem größeren Winglet (blauer Pfeil) zusammen, das sich auf der Spitze der Airbox befindet. Es entsteht ein kaskadenförmiger Wirbel, der - in Kombination mit der Haifischflosse - die Balance des Autos verbessert. Außerdem konnte der Luftstrom zum Heckflügel hin optimiert werden.

Sowohl Heckfinne als auch T-Flügel wurden für 2018 verboten. So haben diese extremen Beispiel in der vergangenen Saison zwar für einen Leistungsschub gesorgt. Nun wandern sie allerdings in den Mülleimer der Geschichte ...