Kolumne: Warum das Nürburgring-Urteil alles ändert

Auf einen Schlag sind die Machtverhältnisse zwischen Nürburgring und VLN auf den Kopf gestellt worden - Berufung alternativlos, Fragezeichen über NES noch größer

(Motorsport-Total.com) - Liebe Freunde der Nordschleife,

Titel-Bild zur News: Mit dem Urteil zur weiteren Nutzung des Nürburgrings haben sich die Machtverhältnisse dramatisch in Richtung VLN verschoben

Mit dem Urteil haben sich die Machtverhältnisse dramatisch in Richtung VLN verschoben Zoom

Beobachter hatten zwar bereits damit gerechnet, dass das Landgericht Mainz eher im Sinne der VLN Sport GmbH & Co. KG entscheiden würde. Doch was am vergangenen Donnerstag verkündet wurde, war ein Schlag ins Kontor des Nürburgring-Eigentümers NR Holding. Eine Berufung, die nach unseren Informationen bereits eingelegt wurde, ist nun alternativlos. Allerdings aus ganz anderen Gründen.

Denn jetzt geht es nicht mehr darum, die VLN aus der "Grünen Hölle" zu vertreiben. Dass ein so eindeutiges Urteil komplett revidiert wird, ist so gut wie ausgeschlossen. Für die NR Holding geht es jetzt um Schadensbegrenzung.

Denn das Urteil hat die Verhandlungsposition des Nürburgrings gegenüber allen Veranstaltern massiv geschwächt. Es legt genau fest, wann die VLN ihre Termine bekommen muss und zu welchen Konditionen.

Und, was vielleicht am schmerzlichsten ist: Die Nürburgring-Nordschleife wurde zu einer "essential facility" (zu Deutsch etwa: wesentliche Einrichtung) erklärt, einer alternativlosen Institution. Sie steht damit auf einer Stufe mit beispielsweise dem Stromnetz oder der Schieneninfrastruktur.

Für die Betreiber solcher Einrichtungen gelten bestimmte Regeln des Kartellrechts, zum Beispiel der Kontrahierungszwang. Also in diesem Fall der Zwang, mit der VLN ein Vertragsverhältnis einzugehen - zu den oben genannten Bedingungen. Und auf dieses Urteil kann sich jetzt jeder Veranstalter berufen, der eine Veranstaltung mit einer gewissen Tradition am Nürburgring durchführt.


Fotos: NLS 2023: 12h Nürburgring


Im Revisionsverfahren kann es eigentlich nur noch darum gehen, diese Teile des Urteils zu revidieren - und im besten Fall vielleicht ein 4:4 an Terminen für NLS und NES herauszuholen, sofern die NES überhaupt zustande kommt (siehe unten). Dass die VLN überhaupt keine Termine mehr bekommt, ist zu 99 Prozent ausgeschlossen.

Der russische Eigentümer und sein Anwaltsteam haben sich völlig verkalkuliert - warum, ist unklar. Die NR Holding war sich ihrer Sache so sicher, dass sie den Rauswurf der VLN von der Nürburgring-Nordschleife öffentlich verkündete und die Verträge für das bestehende Konstrukt der Nürburgring-Langstrecken-Serie (NLS) noch vor Prozessbeginn zum Jahresende kündigte.

Machtverhältnisse umgedreht

Dies hat auch erhebliche Auswirkungen auf die Durchführung der NLS, die im nächsten Jahr wieder VLN heißen könnte. Die Verträge wurden gekündigt, die Anteile der NR Holding an der VLN VV gehen damit an die VLN Sport GmbH & Co. KG über. Das bedeutet, dass der Nürburgring aus dem Konstrukt NLS 2024 heraus nur noch Streckenvermieter wäre.

Diese beiden Parteien müssen nun ein Mietverhältnis eingehen, und die Machtverhältnisse haben sich dramatisch verschoben. Bis vergangenen Donnerstag ging es für die VLN ums nackte Überleben. Ohne Nordschleife wäre sie Geschichte gewesen. Entsprechend stark war die Verhandlungsposition der NR Holding.

Jetzt sitzt die VLN plötzlich fest im Sattel und hält nach jetzigem Stand bis 2024 alle Anteile an der VLN VV GmbH & Co. KG. Will der Nürburgring noch ein Stück vom Kuchen abhaben, bleibt nur noch eine gütliche Einigung. Beispielsweise verfügt der Nürburgring bei Themen wie Ticketing oder Vermarktung über viel Expertise. Darauf ist die VLN aber nicht angewiesen. Dementsprechend ist ihre Verhandlungsposition nun viel stärker als zuvor.

Muskelspiel geht nach hinten los

Als die NR Holding im Oktober 2014 den Nürburgring erwarb, ging ein Aufschrei durch die Motorsportszene. Ein privater Eigentümer, der nur am Profit und nicht am Sport interessiert sei, war vielen ein Dorn im Auge. Die Politik, die den Ring nach dem Desaster "Nürburgring 2009" einfach nur noch aus den Schlagzeilen haben wollte, schaute zu.


12h Nürburgring 2023: Highlights NLS6+7

Die besten Szenen von den 12 Stunden vom Nürburgring, die mit dem 63. ADAC ACAS Cup und dem 62. ADAC Reinoldus-Langstreckenrennen die Läufe sechs und sieben zur Nürburgring-Langstrecken-Serie (NLS) 2023 bildeten

Die Befürchtungen bestätigten sich zunächst nicht und unter dem Konsortium von Wiktor Charitonin lief es zunächst besser, als viele Anhänger von "Save the Ring" und ähnlichen Gruppen befürchtet hatten. Wichtige Investitionen in die teilweise veraltete Infrastruktur wurden getätigt.

Erst in jüngster Zeit wurden die Daumenschrauben zunehmend angezogen. Die NR Holding trat zuletzt selbstbewusster auf und wollte sich immer mehr Kontrolle sichern. 60 Prozent an der VLN VV waren nicht mehr genug.

Mit der NLS unter ihren Fittichen, wie es das 51-25-24-Modell vorgesehen hätte - oder einer NES von eigenen Gnaden - hätte der Nürburgring seine Verhandlungsposition gegenüber dem ADAC, der für mehr als 80 Prozent aller Veranstaltungen am "Ring" verantwortlich ist, deutlich verbessert. Das war das eigentliche Ziel dieser ganzen Aktion.

Doch die NR Holding hat ihre Karten überreizt. Das Gericht hat ihren Handlungsspielraum um Welten eingeschränkt. Schon deshalb wird sie in Berufung gehen müssen. Eine andere Möglichkeit bleibt ihr eigentlich nicht.

NES immer unwahrscheinlicher

Auch die noch in Planung befindliche NES wurde von dem Urteil hart getroffen. So hart, dass ein für kommenden Freitag geplantes Teamchef-Meeting noch am Tag des Urteils abgesagt wurde.

Auch für die NES hat sich die Lage komplett geändert. Statt einer Monopolserie müsste der AvD nun in direkte Konkurrenz zur NLS treten. Jeder, der am Nürburgring Rennen fährt, müsste sich die Frage stellen: Will ich in eine etablierte Serie mit bekannten Strukturen, Reglements und Kosten einsteigen oder in eine Blackbox investieren?

Um es klar zu sagen: Es bestehen erhebliche Zweifel, ob der AvD überhaupt in der Lage ist, die NES zu veranstalten. Auch wenn er immer wieder betont, dass es sich um bewusst gestreute Gerüchte handele.


Fotostrecke: Streit um Langstreckensport am Nürburgring: Die Gemengelage erklärt

Aber bis heute gibt es nicht einmal den Ansatz eines Konzepts für die NES. Das liegt nicht daran, dass wir Medien unsere Arbeit nicht machen, sondern weil es schlicht und einfach keine Infos gibt. Selbst die Teamvereinigung ILN hat bis heute keine Informationen erhalten, wie die NES auch nur rudimentär aussehen soll.

Ursprünglich sollten diese Informationen schon beim 24-Stunden-Rennen, dann bei NLS4 bekannt gegeben werden. Aber es kam nichts. Alles, was der AvD bisher zustande gebracht hat, ist eine Pressemitteilung im Juli mit netten Worten. Harte Fakten, wer die Rennen veranstaltet oder wie das Reglement aussehen soll? Fehlanzeige.

Die VLN muss nicht erst beweisen, dass sie 2024 eine NLS ausrichten kann. Ein Teamchef, der am Nürburgring fahren will, weiß, dass er das bei der VLN kann. Es gibt mindestens sieben Vereine (zwei sind bekanntlich innerhalb der VLN ausgeschert, Zukunft ungewiss), die seit Jahrzehnten Rennen veranstalten. Allein deshalb ist das Vertrauen gegeben.

"Der AvD hat mit dem Urteil die perfekte Exit-Möglichkeit", heißt es im Fahrerlager. Er könnte sich jetzt hinstellen und sagen, man hätte ja eine NES durchgeführt, aber das hat das Urteil leider verhindert. Man hätte das Gesicht gewahrt.

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Nürburgring Fanartikel

Der zweite Verlierer neben dem Nürburgring wäre Ex-VLN-Geschäftsführer Ralph-Gerald Schlüter. Seine Ambitionen auf eine Rückkehr nach seinem unfreiwilligen Ausscheiden (wenn auch offiziell widerrufen) würden sich ebenfalls zerschlagen. Die VLN wird wohl nie wieder mit ihm zusammenarbeiten.

Letztlich ist es auch eine Terminfrage. Denn acht Termine muss der Nürburgring nun per Gerichtsbeschluss für die NLS blocken. Auch mit nur sieben Clubs würde die VLN diese Termine wohl durchziehen.

Zur Not wird eben der Sonntag beim "Double-Header" gestrichen - ein großer Erfolg in Sachen Starterzahlen war das Sonntagsrennen ohnehin nie. Und der MSC Adenau hat 2016 schon einmal zwei Rennen in einer Saison veranstaltet.

Nur: Der Nürburgring ist - vor allem auf der Grand-Prix-Strecke - schon jetzt fast das ganze Jahr über ausgebucht. Selbst wenn die NES nur vier Rennen austragen würde, wäre die Terminfindung bereits schwierig. Leider kann ein Jahreskalender nicht einfach erweitert werden.

Die Zahl der offenen Fragen zur NES ist also nicht kleiner geworden. Und wenn die NLS 2024 sieben bis neun Rennen fährt, welches Team braucht dann noch eine NES?

Euer


Gerald Dirnbeck

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