• 14.04.2023 12:37

  • von Roland Hildebrandt

Vergessene Studien: Mercedes-Benz C 111 (1970)

1969, also vor mehr als 50 Jahren, sorgte der Mercedes C 111 auf der IAA mit Keilform und Wankelmotor für Erstaunen

(Motorsport-Total.com/Motor1) - Der Mercedes-Benz C 111 zählt zu den spektakulärsten Konzeptfahrzeugen der Automobilgeschichte. Hell wie ein Fixstern tauchte er am Horizont auf, um später zum Bedauern vieler Fans doch nicht in Serie zu gehen. Trotzdem bleibt der orangefarbene Keil im Gedächtnis einer ganzen Generation hängen, vor allem Kinder und Jugendliche bewundern den C 111 als Spielzeugauto, im Quartettspiel oder als Poster an der Wand.

Titel-Bild zur News: 50 Jahre Mercedes-Benz C 111

50 Jahre Mercedes-Benz C 111 Zoom

Vor mehr als 50 Jahren bei seinem Debüt auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt am Main (IAA) begeisterte der C 111 Fachwelt und Öffentlichkeit. Der Wankelmotor-Sportwagen ging jedoch nie in Serie und wurde dennoch schnell zur Ikone. Auf seiner Basis entstehen ab 1975 erfolgreiche Rekordfahrzeuge.

Doch der Reihe nach: Staunend drängen sich die Menschen im September 1969 um den futuristischen Supersportwagen, den Mercedes auf der IAA präsentiert. Mit so einem Fahrzeug hatte niemand gerechnet, zumal nicht von Mercedes.

Flügeltüren erinnern an den legendären 300 SL "Gullwing"

Ist dieser Flügeltürer vielleicht der legitime Nachfolger des legendären 300 SL "Gullwing" (W 198) von 1954? Dazu kommt es nicht, obwohl hochrangige Kunden sogar Blankoschecks nach Untertürkheim schicken. Denn der C 111 bleibt ein reines Experimentalfahrzeug und geht nicht in Serie. Es entstehen lediglich insgesamt zwölf Exemplare der beiden Ausführungen von 1969 und 1970.

Die Stuttgarter Marke erprobt in dem faszinierenden Mittelmotor-Sportwagen vor allem den Antrieb durch einen Kreiskolbenmotor nach dem von Felix Wankel entwickelten Prinzip. Im C 111 von 1969 kommt ein Dreischeiben-Wankelmotor mit dreimal 600 Kubikzentimeter Kammervolumen und 206 kW (280 PS) Leistung zum Einsatz. Beim weiterentwickelten C 111-II, der bereits ein halbes Jahr später zum Genfer Automobil-Salon im Frühjahr 1970 vorgestellt wird, ist es ein Vierscheiben-Motor mit viermal 600 Kubikzentimeter Kammervolumen und 257 kW (350 PS).


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Mercedes arbeitet bereits seit 1961 mit NSU-Lizenz am Wankelmotor, der zu jener Zeit wahre Wunderdinge verspricht. Federführend ist bei den Schwaben Wolf-Dieter Bensinger, der Felix Wankel noch aus Vorkriegszeiten kennt. Parallel dazu entstehen Fahrzeugentwürfe, etwa ab 1964 der Mittelmotorsportwagen SLX, der von Bruno Sacco konzipiert und von Mercedes-Designer Giorgio Batistella gestaltet wird.

1976 stoppt Mercedes die Arbeit am Wankelmotor

Mit Mut und Entdeckerfreude entwickeln die Ingenieure des Unternehmens den Wankelmotor trotz großer Herausforderungen weiter. So berichtet Entwicklungschef Prof. Dr. Hans Scherenberg 1967, dass der Verbrauch des Wankels rund 50 Prozent höher sei als bei einem gleich starken Hubkolbenmotor in V-Form.

C 111-Modelle im Mercedes-Benz-Museum

C 111-Modelle im Mercedes-Benz-Museum Zoom

Letztlich sprechen Verbrauch und Emissionsverhalten damals gegen eine Serienfertigung des starken und laufruhigen Wankelmotors. Auch die Zuverlässigkeit ist ausbaufähig, obwohl der Einbau von Wankelmotoren für den SL der Baureihe 107 und die Mittelklasse-Baureihe 123 erwogen wird.

Doch das Pech klebt dem Wankel an den Fersen: Pkw-Entwicklungschef und C-111-Förderer Rudolf Uhlenhaut geht 1972 in Rente, 1973 folgt die erste Ölkrise und Bensinger stirbt 1974. Mercedes beendet die Wankelmotoren-Entwicklung schließlich Anfang 1976.

C 111 erprobt neue Technologien

C 101: Unter diesem Kürzel beginnt Ende 1968 die konkrete Umsetzung des Wankel-Sportwagens. Verantwortlich zeichnet Rudolf Uhlenhaut, einst Vater des legendären 300 SL. Projektleiter ist Dr. Hans Liebold, Leiter der Vorentwicklung. Das faszinierende Design entwirft ein Team um Joseph Gallitzendörfer, und Bruno Sacco, der kurz zuvor von der Vorentwicklung in die Stilistik gewechselt ist, koordiniert die Karosserieentwicklung des spektakulären Sportwagens.

Mercedes C 111 im Windkanal

Mercedes C 111 im Windkanal Zoom

Die erste Testfahrt des ersten kompletten Fahrzeugs auf dem Hockenheimring findet am 15. Juli 1969 statt. Öffentlich präsentiert wird das Experimentalfahrzeug auf der IAA dann im September unter dem Namen C 111 - so vermeidet Mercedes-Benz einen Konflikt mit den von Peugeot geschützten Typenbezeichnungen mit der mittleren Ziffer Null.

Neben dem Wankelmotor werden im C 111 auch Technologien erprobt, die im Serienautomobilbau bislang nur in Ansätzen realisiert worden sind, darunter Karosserien aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) und Fügetechniken wie Kleben und Nieten. Allerdings ergeben sich auch hier Probleme, die einer Serienfertigung nicht förderlich sind. Zur Berühmtheit des C 111 trägt auch die ungewöhnliche Lackierung in Orange metallic bei. Deren aus dem Weinbau entlehnte Bezeichnung "Weißherbst" hebt auf die schillernde Orange/Rosé-Färbung der beliebten Weine ab.

Das Experimentalfahrzeug begeistert nicht nur durch sein visionäres Konzept, sondern auch durch die für seine Epoche exzellente Leistung. Die erste Version des C 111 erreicht ein Spitzentempo von 260 km/h, und der C 111-II kommt sogar auf 300 km/h. In den Autoquartett-Spielen der frühen 1970er-Jahre katapultiert das den C 111 in die Liga der Spitzentrümpfe.

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Nach dem Wankel-Aus 1976 beginnt im gleichen Jahr die zweite Karriere des C 111 als Rekordwagen mit Hubkolbenmotoren. Insgesamt entstehen zwei Version mit Fünfzylinder-Turbodieselmotor (C 111-II D im Jahr 1976 und C 111-III im Jahr 1978) sowie der C 111-IV mit V8-Ottomotor im Jahr 1979. Auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke im italienischen Nardò stellen die C-111-Rekordfahrzeuge zahlreiche Bestmarken auf, unter anderem den Rundstrecken-Weltrekord mit 403,978 km/h mit dem C111-IV am 5. Mai 1979. Doch mit dem Urmodell hat er optisch nicht mehr viel zu tun.

1989 fanden die letzten Testfahrten statt, dann wurden die Wankelversionen des C 111 eingemottet, um die wenigen noch vorhandenen Kreiskolbenmotoren für die Zukunft zu erhalten. Hinzu kommt, dass es für die intern M 950 genannten Maschinen praktisch keine Ersatzteile gibt. Als Kompromiss machten die Spezialisten von Mercedes-Benz Classic im Jahr 2014 einen dieser Traumsportwagen aus ihrer Sammlung auf andere Art und Weise wieder fahrbereit. Dafür verwendeten sie einen 3,5-Liter-V8-Motor der Baureihe M 116, wie er tausendfach in S-Klasse und SL zum Einsatz kam.