Kolumne: Irren ist menschlich - und gut für die WRC

Redakteur Markus Lüttgens nimmt eine Standortbestimmung in der WRC vor: Spannende Ausgangslage nach zwei Rallyes, auch weil zwei Asse patzen

Liebe Freunde des gepflegten Driftwinkels,

Titel-Bild zur News: Jari-Matti Latvala

Überraschung: Jari-Matti Latvala und Toyota siegen schon im zweiten Anlauf Zoom

wenn etwas vielversprechend ist, heißt das nicht zwangsläufig, dass es diese Versprechungen auch hält. Bei der Rallye-Weltmeisterschaft (WRC) kann man nach zwei von 13 Läufen der Saison 2017 jedoch mit Fug und Recht behaupten, dass sie die Vorschusslorbeeren bisher erfüllt. Ein Außenseiterteam der vergangenen Jahre marschiert in der Herstellerwertung voran, die Rückkehrer gewinnen bereits die zweite Rallye und zwei der Favoriten sind schon mächtig in der Defensive. Das verspricht Spannung für die weiteren Läufe.

Bevor ich die Leistungen der einzelnen Fahrer und Teams genauer unter die Lupe nehme, muss ich aber zunächst einmal Abbitte leisten. Auch ich gehörte vor Saisonbeginn zu denjenigen, die Toyota gegenüber skeptisch waren. Beeindruckt von Berichten über Verzögerungen beim Aufbau des neuen Teams hatte auch ich nicht erwartet, dass Jari-Matti Latvala nach zwei WRC-Läufen die WM-Wertung anführen und schon einen Sieg auf dem Konto haben würde. Doch genau das ist der Fall.

Toyotas Erfolge sind kein Zufall

Und das ist kein Zufallsprodukt. Natürlich hat der Finne sowohl bei der Rallye Monte Carlo als auch in Schweden von Unfällen anderer Fahrer profitiert, aber er war zur Stelle, wenn andere patzten und vermied die Fehler, die andere machten. Darüber hinaus hat sein Yaris WRC nun schon bei zwei Rallyes und unterschiedlichen Bedingungen gezeigt, dass er vielleicht nicht das schönste Auto des WRC-Jahrgangs 2017 ist, dafür aber absolut konkurrenzfähig.


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Latvalas Wechsel von Volkswagen zu Toyota kam Ende 2016 offenbar gerade noch rechtzeitig, um in der Endphase der Entwicklung des Yaris WRC die richtigen Impulse zu setzen. Herauskam ein Auto, das sich hinter den Modellen der Konkurrenten nicht verstecken muss. Besteht es bei der nächsten Rallye in Mexiko auch den Härtetest auf Schotter, muss man Latvala im Kampf um den WM-Titel 2017 auf der Rechnung haben.

Denn auch der Finne ist Teil des Erfolgsgeheimnisses von Toyota. Im vergangenen Jahr wirkte Latvala permanent etwas angespannt, was sich in mehr als durchwachsenen Leistungen für Volkswagen widerspiegelte. Mitunter schien es fast, als sei ihm die Lust am Rallyefahren etwas abhanden gekommen. Im finnisch dominierten Toyota-Team unter der Führung von Tommi Mäkinen hingegen blüht Latvala förmlich auf.

Jari-Matti Latvala hat sein "Sisu" zurück

Er hat sein Lachen zurückgefunden und strahlt deutlich mehr Selbstvertrauen als noch im Vorjahr aus. Und das sieht man auch wenn er im Auto unterwegs ist. Dass er bei der Rallye Schweden trotz eines deutlichen Vorsprungs bei der Powerstage nicht auf Ankommen fuhr, sondern attackierte und sich die Bestzeit sicherte, zeugt von einer Nervenstärke und Selbstsicherheit, die man bei Latvala nicht immer gesehen hat. Jari-Matti hat sein "Sisu" zurück.

Jari-Matti Latvala

Jari-Matti Latvala wirkt nach dem Wechsel zu Toyota gelöst und befreit Zoom

Nicht weniger beeindruckend als das tolle Comeback von Toyota und Latvala ist die Wiederauferstehung von M-Sport. Nachdem Malcolm Wilson sein Team jahrelang teils mehr schlecht als recht in der WRC über Wasser gehalten hatte, stand M-Sport in dieser Saison bei beiden Rallyes jeweils mit beiden Fahrern auf dem Podium und führt daher die Herstellerwertung souverän an.

Und das liegt bei Leibe nicht nur an Sebastien Ogier. Sicherlich ist der viermalige Weltmeister eine Bereicherung für das Team, und ebenso sicher war seine fahrerische Klasse einer der Schlüssel zum Sieg bei der Rallye Monte Carlo. Doch mit Ott Tänak hat Ogier einen Teamkollegen, der ihm das Leben noch schwer machen könnte. In Schweden war der Este der schnellere Mann, auch am Samstag und Sonntag, als die Startreihenfolge keine Rolle mehr spielte. Sollte mit weiteren Erfolgen und vielleicht auch bald dem ersten Sieg Tänaks Selbstvertrauen weiter steigen, können wir uns auf weitere spannende Duelle der beiden M-Sport-Piloten gefasst machen.

Thierry Neuville ist der Schnellste, doch alleine das reicht nicht

Auch der Kampf um den WM-Titel verspricht spannend zu werden, denn mit Latvala, Ogier und Tänak liegen in der Gesamtwertung drei Fahrer vorne, die nicht im schnellsten Autos sitzen. Denn das haben weder M-Sport noch Toyota gebaut, sondern gemessen am Eindruck der ersten beiden Rallyes Hyundai.

Thierry Neuville, Nicolas Gilsoul

Mehr Schatten als Licht: Thierry Neuville vergab zweimal die Chance auf den Sieg Zoom

Sowohl in Monte Carlo als auch in Schweden war Thierry Neuville zwei Tage lang der schnellste Mann. Doch zweimal zeigte der Belgier auch, wie schmal der Grat zwischen Held und Verlierer in der WRC ist - ganz besonders in Schweden. Dort hatte der Autor dieser Zeilen am Samstagnachmittag seinen Tagesbericht schon fast fertig formuliert, denn auf einer nur 1,90 Kilometer langen Zuschauerprüfung wird ja nichts mehr passieren - dachte ich.

Doch erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Eine Sekunde nicht richtig konzentriert, streifte Neuville einen Reifenstapel und riss dabei die Lenkstange ab. Anstatt nach zwei Rallyes mit zwei Siegen und einer souveränen WM-Führung, steht der Belgier fast mit leeren Händen da und hat damit nun schon zwei Joker verspielt. Will er Rallye-Weltmeister 2017 werden, darf sich Neuville in dieser Saison nicht mehr viele Fehler erlauben.

Citroen und Kris Meeke enttäuschen bisher

So bitter diese Rückschläge für den Hyundai-Piloten selbst sind, so sehr sind sie ein Segen für die WRC insgesamt. Denn ohne diese Fahrfehler läge Neuville in der Gesamtwertung deutlich in Führung, und das Pendel im WM-Kampf könnte schnell in seine Richtung ausschlagen. Trösten kann sich Neuville mit der Tatsache, dass er ein Auto hat, mit dem er diesen Rückstand aufholen kann. Wenn ein Dani Sordo bei zwei Rallyes, die nicht gerade zu seinen Favoriten zählen, zweimal auf Rang vier fährt, dann muss der Hyundai i20 Coupé WRC ein pfeilschneller Bolide sein.

Kris Meeke, Paul Nagle

Citroen und Kris Meeke haben noch Nachholbedarf Zoom

Das kann man vom Citroen C3 WRC bisher noch nicht behaupten, womit wir beim größten Sorgenkind der bisherigen WRC-Saison wären. Kris Meeke und Citroen sind für mich bisher die Enttäuschung des Jahres. Trotz einer langen und intensiven Vorbereitungszeit wirkt der C3 WRC noch nicht richtig aussortiert. Bei der Rallye Monte Carlo lag das Auto zu tief und setzte immer wieder auf, was für ein äußerst unruhiges Fahrverhalten sorgte. Das erwischte Meeke auf dem falschen Fuß und sorgte für einen Abflug.

In Schweden wiederholte sich die Geschichte. Am Samstagnachmittag wurde Meekes Auto auf einer Bodenwelle ausgehebelt und landete in einem Schneewall. Damit war das nächste Top-10-Resultat beim Teufel. Auch unter Berücksichtigung des schwierigen Fahrverhaltens des Citroen scheint sich damit die Befürchtung zu bestätigen, die ich schon in meiner Kolumne vor Saisonbeginn geäußert hatte: Meeke bleibt weiterhin den Nachweis schuldig, dass er unter Druck konstant Spitzenleistungen abliefern kann.

Ein Vierkampf um die WM ist möglich

Besser macht es da sein deutlich unerfahrenere Teamkollege Craig Breen, der in Monte Carlo (im Vorjahresauto) und in Schweden jeweils auf Platz fünf fuhr. Anlass zur Sorge muss für Citroen jedoch sein, dass nach zwei Rallyes erst eine WP-Bestzeit für den C3 WRC zu Buche steht. Das Auto ist nicht nur schwierig zu fahren, sondern zählt auch noch nicht zu den allerschnellsten. Wenn allerdings ein Team das Knowhow und die Ressourcen hat, um diesen Rückstand aufzuholen, dann sicherlich Citroen. Doch für die Franzosen gilt das gleiche wie für Hyundai: Fehler sollten ab sofort tabu sein.


Fotos: WRC: Rallye Schweden


Als Zwischenfazit kann man nach zwei Rallyes festhalten, dass die WRC-Saison 2017 die aufregendste seit langer Zeit wird. Denn zum ersten Mal seit 2012 steht nach zwei Saisonläufen noch nicht fest, in welchem Auto der Weltmeister sitzen wird. Im Idealfall erleben wir sogar einen Kampf von vier Herstellern um die Krone. Rallyeherz, was willst du mehr?

Herzlichst Ihr

Markus Lüttgens